Herbstblues: Wenn die dunkle Jahreszeit aufs Gemüt schlägt

Der Herbst ist eine Jahreszeit voller Gegensätze. Einerseits verzaubern uns die bunten Blätter, die klare Luft und das warme Licht der tief stehenden Sonne, andererseits kündigen kürzere Tage, graue Wolken und lange Nächte auch die dunkle Jahreszeit an. Genau in diesem Spannungsfeld entsteht oft ein Stimmungstief, das viele von uns kennen: der Herbstblues. Plötzlich fehlt die Energie, die Motivation sinkt und selbst der kleinste Alltagsschritt scheint anstrengend. Vielleicht kommt dir dieses Gefühl bekannt vor.
Das Gute ist: Du bist nicht allein – und es gibt Wege, deine Stimmung bewusst zu verbessern. In diesem Ratgeber erfährst du, was hinter dem Herbstblues steckt, wie du ihn von einer echten Depression unterscheiden kannst und welche Strategien dir helfen können, die grauen Tage leichter zu meistern.
Was ist der Herbstblues?

Der Herbstblues ist mehr als nur ein poetischer Ausdruck für schlechte Laune bei Regenwetter. Es handelt sich um eine saisonal bedingte Stimmungsveränderung, die typischerweise zwischen September und November auftritt, wenn die Tage merklich kürzer werden. Im Gegensatz zur umgangssprachlichen Verwendung beschreibt der Begriff ein klar umrissenes Phänomen: eine vorübergehende Verstimmung, die zwar belastend sein kann, aber nicht die Kriterien einer klinischen Depression erfüllt.
Die typischen Anzeichen erkennen
- Erhöhtes Schlafbedürfnis – und trotzdem fühlst du dich nicht erholt
- Energielosigkeit ohne erkennbaren Grund
- Heisshunger auf Kohlenhydrate und Süsses
- Konzentrationsschwierigkeiten bei der Arbeit oder im Alltag
- Sozialer Rückzug – die Couch wird zum besten Freund
- Stimmungstief am Nachmittag und Abend
- Reizbarkeit bei Kleinigkeiten
Diese Symptome treten Jahr für Jahr zur gleichen Zeit auf und verschwinden in der Regel von selbst, sobald sich der Körper an die Dunkelheit gewöhnt hat oder die Tage im Frühjahr wieder länger werden.
Zahlen und Fakten: Wie verbreitet ist das Phänomen?
Du bist mit deinem Stimmungstief im Herbst definitiv nicht allein. Studien aus Deutschland und Mitteleuropa zeigen übereinstimmend, dass etwa 20 bis 30% der Bevölkerung eine Form des Herbstblues erleben.
- Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer
- Die Häufigkeit nimmt mit der geografischen Breite zu – in Skandinavien kennen über 40% das Phänomen
- Junge Erwachsene zwischen 20 und 40 Jahren berichten häufiger über Symptome
- Nur etwa 3 bis 5% entwickeln eine behandlungsbedürftige saisonale Depression (SAD)
Herbstblues oder Depression? Die wichtige Abgrenzung

Die Grenze zwischen einem „normalen“ Herbstblues und einer ernstzunehmenden Erkrankung verläuft mitunter fliessend. Gerade weil sich die Symptome ähneln können, ist es wichtig, die Unterschiede zu kennen. Das soll dich nicht verunsichern, sondern dir Sicherheit im Umgang mit deinen Gefühlen geben.
Saisonale Depression (SAD) vs. Herbstblues
Die saisonale Depression, auch SAD (Seasonal Affective Disorder) genannt, ist die „grosse Schwester” des Herbstblues – und spielt in einer anderen Liga. Nach aktuellen Schätzungen sind etwa zwei bis fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Mitteleuropa von der Winterdepression, umgangssprachlich auch SAD genannt, betroffen. Sie ist eine anerkannte Form der Major Depression mit saisonalem Muster und sollte von Fachleuten behandelt werden.
Der Herbstblues ist wie ein grauer Schleier, der sich über deinen Alltag legt: | Die saisonale Depression (SAD) hingegen ist wie eine schwere Decke, unter der du gefangen bist: |
Du funktionierst noch, aber alles fühlt sich mühsamer an Die Stimmung schwankt, aber du hast noch gute Momente Nach 2 bis 3 Wochen wird es meist von selbst besser Kleine Massnahmen (Spaziergang, Lichtdusche) zeigen Wirkung Du kannst dich noch für Dinge motivieren, auch wenn es Überwindung kostet | Mindestens zwei Winter in Folge mit depressiven Episoden Symptome halten über Monate an (meist Oktober bis März) Massiver Leidensdruck und deutliche Alltagseinschränkung Typisches „atypisches“ Muster: vermehrter Schlaf statt Schlaflosigkeit, Heisshunger statt Appetitlosigkeit Professionelle Behandlung notwendig für Besserung |
Warum macht uns der Herbst müde? Die Wissenschaft dahinter
Dein Körper ist keine Maschine, die unabhängig von ihrer Umgebung funktioniert. Er ist ein seit Jahrtausenden auf Lichtveränderungen reagierendes, fein abgestimmtes biologisches System. Was du als Müdigkeit im Herbst erlebst, ist das Ergebnis einer komplexen Kettenreaktion, die im Gehirn beginnt und den gesamten Organismus beeinflusst.
Lichtmangel und die innere Uhr

Dein Gehirn hat einen winzigen Wächter, der ständig das Licht misst: den suprachiasmatischen Nucleus (SCN). Er ist deine biologische Hauptuhr und nicht grösser als ein Reiskorn. Dieser Taktgeber sitzt direkt über der Kreuzung deiner Sehnerven und erhält permanente Updates über die Lichtverhältnisse.
Was passiert also im Herbst?
Die Tageslichtdauer sinkt von etwa 16 Stunden im Juni auf nur noch acht Stunden im Dezember. Es geht aber nicht nur um die Quantität:
- Lichtintensität: Ein sonniger Sommertag bringt bis zu 100.000 Lux, ein trüber Herbsttag oft nur 3.000 Lux
- Lichtwinkel: Die tiefstehende Sonne erreicht spezielle Photorezeptoren in deinen Augen schlechter
- Blaulichtanteil: Gerade das biologisch wirksame blaue Licht (480nm) ist im Herbst reduziert
Deine innere Uhr gerät aus dem Takt, denn sie denkt quasi permanent, es wäre später Nachmittag. Die Folge? Dein circadianer Rhythmus verschiebt sich und du bist zur falschen Zeit müde oder wach. Forschungen zeigen, dass bereits eine Woche mit reduzierter Lichtexposition messbare Veränderungen in der Aktivität der „Uhrengene“ bewirkt.
Das Zusammenspiel von Serotonin und Melatonin

Hier wird es biochemisch spannend und es wird erklärt, warum du dich nicht einfach „zusammenreissen” kannst. Das Tückische daran ist: Bei weniger Serotonin und gleichzeitig mehr Melatonin fährt dein Gehirn in den Energiesparmodus, während du eigentlich funktionieren musst. Es ist, als würde jemand gleichzeitig auf Bremse und Gas treten.
Serotonin – dein Gute-Laune-Botenstoff: | Melatonin – das Schlafhormon: |
Produktion ist lichtabhängig – mehr Licht, mehr SerotoninIm Herbst sinkt der Serotonin-Spiegel um bis zu 20 bis 30% Transporterproteine (SERT) sind im Winter aktiver und bauen Serotonin schneller ab Folge: gedämpfte Stimmung, reduzierte Impulskontrolle, Heisshunger | Wird bei Dunkelheit aus Serotonin gebildet Im Herbst frühere und längere Melatoninausschüttung Normalerweise nur nachts im Blut, im Herbst oft noch morgens nachweisbar Folge: Tagesmüdigkeit, verlängertes Schlafbedürfnis, Antriebslosigkeit |
Was hilft wirklich gegen den Herbstblues? 5 Strategien

Schluss mit gut gemeinten Ratschlägen wie „Denk doch mal positiv!” Hier kommen Tipps gegen den Herbstblues, die tatsächlich funktionieren. Das Beste daran ist, dass du sofort damit anfangen kannst.
1. Lichttherapie richtig einsetzen
So machst du es richtig:
- 10.000 Lux Helligkeit sind optimal (zum Vergleich: normales Bürolicht hat 500 Lux)
- 30 Minuten morgens zwischen 6 und 9 Uhr
- Abstand: etwa 50 bis 80 cm vom Gerät
- Indirekt hinschauen – lesen, frühstücken, arbeiten dabei
- Mindestens 2 Wochen konsequent durchhalten
2. Bewegung an der frischen Luft – auch bei Schmuddelwetter
„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“
Bewegung wirkt dreifach:
- Lichtexposition auch bei bedecktem Himmel
- Endorphinausschüttung ab 20 Minuten moderater Bewegung
- Temperaturreize aktivieren den Stoffwechsel
- Vormittags ist optimal für den circadianen Rhythmus
3. Schlafhygiene optimieren
Paradoxerweise schläfst du schlecht, obwohl du müde bist. Eine bessere Stimmung im Herbst bedeutet auch, deinen Schlaf zu regulieren.
Die wichtigsten Regeln:
- Regelmässige Schlafenszeiten – auch am Wochenende (±30 Minuten)
- Schlafzimmer kühl halten (16 bis 18°C)
- Kein Blaulicht 2 Stunden vor dem Schlafengehen
- Nicht länger schlafen als 8 bis 9 Stunden (auch wenn du könntest)
- Lichtwecker simulieren Sonnenaufgang
- Vitamin-D-Einnahme morgens (falls supplementiert) unterstützt den Tag-Nacht-Rhythmus
- Warme Socken verbessern die Durchblutung und Einschlafzeit
4. Ernährung anpassen
Keine Sorge, es folgt keine Verbotsliste. Aber es gibt ein paar Stellschrauben, an denen du drehen kannst.
Unterstützende Nährstoffe:
- Omega-3-Fettsäuren (Lachs, Walnüsse, Leinsamen) für die Nervenzellen
- Komplexe Kohlenhydrate (Vollkorn, Haferflocken) für stabilen Blutzucker
- Tryptophan (Bananen, Nüsse, Käse) als Serotonin-Vorstufe
- B-Vitamine (Hülsenfrüchte, grünes Gemüse) für den Energiestoffwechsel
Praktische Tipps:
- Warmes Frühstück (Porridge) gibt Energie für den Tag
- Regelmässige Mahlzeiten stabilisieren Blutzucker und Stimmung
- Nach 14 Uhr Koffein – für besseren Schlaf
- Alkohol meiden als „Stimmungsaufheller“ (verschlechtert Schlafqualität)
5. Die unterschätzte Kraft der Vorfreude
Ein psychologischer Trick: Dein Gehirn kann nicht unterscheiden, ob du dich über etwas freust oder dich auf etwas freust. Plane deshalb bewusst Lichtblicke für die dunkle Jahreszeit!
- Mikroabenteuer: Herbstwanderung, Pilze sammeln, Lagerfeuer
- Gemütlichkeit zelebrieren: Hygge, neue Teesorten, Kerzenlicht
- Neue Skills: Online-Kurs, Instrument lernen, Sprache üben
- Wellness: Saunabesuche, Thermenwochenende, Massagen
- Kultur: Konzerte, Theater, Museen (perfekt bei Schmuddelwetter)
Fazit

Nach all den Strategien, Tipps und wissenschaftlichen Erklärungen sollten wir einen Moment innehalten. Ja, der Herbstblues ist real. Die kürzeren Tage, das fehlende Licht und die biologischen Prozesse in deinem Körper beeinflussen deine Stimmung. Aber hier kommt die entscheidende Erkenntnis: Der Herbst ist nicht dein Feind. Er ist eine Einladung, langsamer zu werden, nach innen zu schauen und es sich gemütlich zu machen. Kulturen, die das verstanden haben – denk an das dänische „Hygge” oder das norwegische „Koselig” – haben trotz langer, dunkler Winter die niedrigsten Depressionsraten.
Was wäre, wenn du den Herbstblues nicht als Problem, sondern als Signal deines Körpers siehst: „Hey, lass uns die Jahreszeit anders angehen”?
- Licht ist deine wichtigste Waffe – nutze jede Gelegenheit
- Bewegung hebt die Stimmung, auch bei Schmuddelwetter
- Struktur gibt dir Halt, wenn alles grau erscheint
- Verbindung zu anderen Menschen ist Medizin für die Seele
- Akzeptanz der Jahreszeit macht vieles leichter
Du musst nicht alle Tipps gegen den Herbstblues gleichzeitig umsetzen. Suche dir diejenigen aus, die zu deinem Leben passen. Denn selbst kleine Veränderungen können eine grosse Wirkung haben.
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